Köln kann alles! Z.B. eine Oberbürgermeisterwahl mit ungültigen Stimmzetteln ausführen (so daß die Wahl mal eben für eine schlappe Million Euro um über einen Monat verschoben werden muß), Wählerstimmen von SPD und CDU vertauschen (und sich mit Händen und Füßen gegen eine Neuauszählung wehren!), durch den Versuch eines U-Bahn-Baus eine halbe Stadt ins Chaos (und in die Tiefe) stürzen und eine Oper so sanieren, daß das Wort „Bauskandal“ eine komplett neue Bedeutung erhält.
In Köln kann man aber trotzdem schnell und unkompliziert mal was bauen – so unbürokratisch, daß eine Genehmigung gar nicht erteilt werden muss! Echte Fründe ston zesamme!
Ich hatte bei der Stadt per Antrag auf Akteneinsicht gemäß Informationsfreiheitsgesetz (IFG) ja in Erfahrung bringen wollen, wer die Genehmigung für die Werbesäule der Firma Ströer an der Mülheimer Brücke erteilt hat, die Radfahrer und Fußgänger gefährdet, indem sie die Sichtbeziehungen komplett nimmt und zudem eine Ampelanlage fast vollständig verdeckt. Ähnliche Beispiele finden sich (immer noch) im kompletten Stadtgebiet.
Ich erhielt am 7.8.2015 -per e-Mail- relativ schnell (zumindest für Kölner Verhältnisse, üblicherweise wird das IFG von Kölner Verwaltungsmenschen sehr gerne mißachtet und schlicht ignoriert) von Frau Christina Land aus dem Bauaufsichtsamt Antwort. Die Antwort erschütterte mich durchaus einigermaßen (auch wenn mich in Köln eigentlich kaum noch etwas erstaunen kann):
mit E-Mail vom 20.07.2015 haben Sie ein Foto zu einer vor Ort befindlichen Werbeanlage übersandt und ausdrücklich zu dieser Anlage u. a. um Akteneinsicht gemäß IFG NRW gebeten. Meine Recherchen haben ergeben, dass es für die von Ihnen beschriebene Litfaßsäule keine Baugenehmigung gibt. Daher ist keine Übermittlung der von Ihnen gewünschten Informationen möglich, weil nicht existent.
Oops! Damit hatte ich nicht wirklich gerechnet – dieser e-Mail nach hat die Firma Ströer die betreffende Litfaßsäule also ohne Baugenehmigung aufgebaut! Allerhand! Frau Land fügte noch „rein informell“ an, daß zu der übrigen von mir „aufgeworfenen Thematik“ auf „dem Postweg eine Antwort in Kürze erfolgt“.
Da diese elektronische Post ja vermutlich noch #Neuland für die Verwaltung ist, wartete ich also auf die Briefpost. Die kam dann auch am 14.8.2015 (witzigerweise datiert vom 7.8.2015, dem Tag an dem die e-Mail versandt wurde). Frau Land teilte mir zunächst einmal mit, daß ich hier „keine subjektiv öffentlichen Rechte in der Sache gegenüber der Baufsichtsbehörde“ besäße. Daraus ergebe sich, dass ich „keinen Anspruch auf ein Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde und daher keinen Anspruch auf eine Detailüberprüfung in der Sache selbst“ habe. Soso! Klingt für mich erstmal wie „Halten Sie den Ball flach!“ oder „Belästigen Sie uns nicht!„, was -wieder einmal- die Frage aufwirft, wem so eine Stadt eigentlich gehört. Vielleicht doch den Menschen, die in ihr leben? Und ist die Verwaltung nicht nur einfach eingesetzt, um die Stadt für eben diese Menschen zu verwalten? Ich habe mitnichten gesagt, daß mich diese Werbesäulen generell stören, ich erkenne in ihnen sogar eine gewisse Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit, die kommerzieller Natur ist, darf aber in keinem (!) Fall über der Sicherheit von Menschen stehen, soviel ist klar!
Frau Land führte weiter aus, daß keine Baugenehmigung bestünde, wie sie das ja auch schon per e-Mail mitgeteilt hatte, jedoch eine Baugenehmigung für einen anderen, etwas weiter vom Fahrradweg entfernten Standort erteilt wurde. Eine Besprechung mit den Beteiligten vor Ort hätte ergeben, daß die Werbeanlage versetzt werden solle. Somit war es scheinbar so, daß es die Firma Ströer mit der erteilten Baugenehmigung nicht so genau genommen hatte und sich einfach einen anderen, werbewirksameren Standort ausgesucht hatte. Rein versehentlich, natürlich. Fällt schon nicht auf, wir sind ja in Köln!
In den folgenden Tagen passierte (wie man das gewohnt ist) nichts. Die Werbesäule stand weiter im Weg (ich fahre da regelmäßig vorbei) und war noch nicht mit Werbung bestückt. Mir wurde allerdings schon von mehreren brenzligen Situationen berichtet und eine (Fußgänger, der hinter der Säule hervortrat und von Radfahrer touchiert wurde) konnte ich selbst beobachten. In der letzten Woche wurde die Werbesäule dann allerdings tatsächlich in Betrieb genommen, was mich dazu veranlasste, gestern, 3.9.2015, folgendes Schreiben an Frau Land, bzw. das Bauaufsichtsamt aufzusetzen:
Ihre Information, daß es für die betreffende Werbesäule gar keine Baugenehmigung gibt, werde ich hier nicht weiter kommentieren.
In Ihrem Schreiben teilen Sie mir mit, daß es für den Standort keine Baugenehmigung gibt, diese aber vorliegt „für einen etwas weiter vom Fahrradweg entfernten Standort der Werbeanlage“.
Hiermit beantrage ich Akteneinsicht nach Informationsfreiheitsgesetz (IFG NRW) in folgende Unterlagen:
– an weldher Stelle genau die Errichtung der Werbeanlage genehmigt wurde
– wann die Errichtung der Werbeanlage von der Stadt Köln so genehmigt wurde
– wer die Errichtung der Werbeanlage genehmigteIch wünsche, die Informationen niedergeschrieben, aufbereitbar und nachvollziehbar zu erhalten. Dies nach Ihrem Gusto per Post an meine Adresse oder per e-mail an marco@radfahren-in-koeln.de. Aus Umweltschutzgründen würde ich die elektronische Variante präferieren.
Ich gehe davon aus, daß es sich um eine einfache Akteneinsicht handelt, die nicht gebührenpflichtig ist.
Sie teilen mir mit, daß ich „keine subjektiv öffentlichen Rechte der Sache gegenüber der Bauaufsichtsbehörde“ hätte und sich daraus kein „Anspruch auf eine Detailüberprüfung in der Sache selbst“ hätte. Unabhängig davon, daß ich dies bezweifle, ist dies aber auch irrelevant. Die Werbesäule gefährdet Verkehrsteilnehmer, gleichermaßen Fußgänger und Radfahrer sowie Kraftfahrer. Die Gründe hierfür sind für Jedermann deutlich zu erkennen, ich habe Ihnen diese außerdem auch genannt. Ebenso liegen mir bereits Berichte von konkret stattgefundenen Gefahrensituationen vor. Auch die Tatsache, daß die Werbesäule noch nicht versetzt und mittlerweile sogar in der letzten Woche bestückt wurde, zeigt, daß die ausführenden Parteien keinerlei Interesse an der Unversehrtheit der gefährdeten Verkehrsteilnehmer haben. Ich fordere Sie nochmals auf, die Werbesäule umgehend zu entfernen.
Eine entsprechende Strafanzeige/Strafantrag werde ich gesondert erstatten.
In den letzten Wochen sind mir weitere (dutzende) Werbeanlagen aufgefallen, die in ähnlicher Weise den Verkehr behindern und gefährden, indem sie Sichtbeziehungen be- und verhindern, Lichtsignalanlagen verdecken, etc.
Gibt es für diese Werbeanlagen allesamt Baugenehmigungen? Soll ich diese einzeln erfragen oder genügen hier Hinweise auf die Werbeanlagen als Liste?
Das Schreiben schickte ich (wie das vorherige auch) in Kopie an den ADFC Köln zur Info, den „Fahrradbeauftragten“ zur Info und mit Bitte um Maßnahme, die Polizei Köln mit Bitte um Inaugenscheinnahme, Maßnahme und Information über die Ergebnisse und die Fa. Ströer zur Kenntnisnahme. Keine Stunde später erhielt ich (und auch die anderen, von mir angeschriebenen Empfänger) vom Blackberry des Geschäftsführers der Firma Ströer Deutsche Städte Medien, Hermann Meyersick, eine e-Mail mit den knappen Worten:
In Abstimmung mit der Stadt wird die Säule bereits heute noch auf den baugenehmigten Standort versetzt. Schönen Tag noch.
Danke, den schönen Tag hatte ich. Und gute drei Stunden später passierte ich die Werbesäule und – sie war tatsächlich versetzt:
Komisch, wie schnell Dinge umgesetzt werden können, wenn man Nägel mit Köpfen („Ich werde Strafanzeige erstatten“) macht. Bleibt die Frage, wie die Baugenehmigung tatsächlich aussah (das interessiert mich dann doch, ich warte mal die Antwort auf meine IFG-Anfrage ab) und vor allem: wie sieht es mit den zahlreichen anderen, ähnlich gefährdend platzierten Werbeträgern aus? Wurden die ebenfalls einfach so, ohne Baugenehmigung aufgestellt? Ich werde da -zumindest bei Strecken, die mich tangieren- weiterhin tätig bleiben und auch der ADFC ist aktiv und kann weiterhin Eure Mithilfe gebrauchen! Wem Werbeträger auffallen, der schickt bitte eine e-Mail mit dem Betreff „Werbesäulen“ an radverkehr@adfc-koeln.de (am besten mit Foto und mit genauer Ortsbeschreibung). Die Firma Ströer hat einige Werbeträger gleich selbst fotografiert und auf ihrer Website dokumentiert – dort findet man sogar eine detaillierte Standortkarte. Wie praktisch. Und auf ihrer Facebookseite freut man sich auch über die Megasäulen – und bestimmt auch über Kommentare.
Fazit: die betreffende Säule ist versetzt und steht nun an einem halbwegs akzeptablem Ort. Es gibt allerdings Menschen, die behaupten, die Firma Ströer verstoße bewusst und permanent gegen die erteilten Genehmigungen und baue die Säulen oftmal so auf, daß der Standort -ohne Rücksicht- verbessert ist, was dann vom Bauaufsichtsamt geduldet wird. Hört sich nach starkem Tobak an und -selbstverständlich!- „in dubio pro reo“, andererseits: wer den Filz in unserer Stadt kennt, der weiß, daß das so undenkbar nicht ist. Das gilt es also herauszufinden.
Der Vollständigkeit halber: von „Fahrradbeauftragtem“ und Polizei habe ich in dieser Sache nicht einen Satz gehört. Wahrscheinlich hat die „Inaugenscheinnahme“ da noch nicht stattgefunden – die sind da manchmal was langsamer. Aber schön: der ADFC kümmert sich!
8 Antworten bis jetzt ↓
1 Elmar // Sep 4, 2015 at 16:05
Auch in Rodenkirchen wird festgestellt, dass neue Werbeträger aufgebaut werden. Unabhängig von der „Verschönerung“ die von ihnen ausgeht, gibt es auch welche, die Sichtachsen unterbinden.
Sobald ich wieder in Köln bin, werde ich diese fotografieren und auf Verdeckung von Sichtachsen überprüfen.
Schreiben gehen ggf. an die entsprechenden Stellen raus. Werde mich Deines Verteilers bedienen.
Dir möchte ich für Deinen Einsatz danken, denn ich denke, dass nur so die Situation in Köln zugunsten aller verbessert wird.
2 Henning // Sep 5, 2015 at 07:55
Sehr gute Aktion. Vielen Dank für Deinen Einsatz!
3 Jochen G. // Sep 5, 2015 at 20:28
*Aua* Stadtverwaltung Köln = Kasperletheater in Reinform.
4 Sascha // Sep 6, 2015 at 08:06
http://www.ksta.de/lindenthal/werbetraeger-in-koeln–lindenthal-litfasssaeule-ist-fuer-viele-die-hoehe,15187510,29688290.html
5 Jochen G. // Sep 6, 2015 at 14:35
Mir geht das gerade nochmal durch den Kopf und … vielleicht sollte man doch einen Strafantrag stellen. Aber gegen was genau?
Weshalb? Mich wundert die direkte Antwort von dem Ströer Verantwortlichen und die extreme schnelle Reaktion bzgl. des Umstellens. Wenn der hierfür auslösende Satz, die Ankündigung einer Strafanzeige/eines Strafantrags gewesen sein sollte – man weiß es ja leider nicht -, würde das auf „Ooops! jetzt aber schnell, sondern finden die am Ende noch was ganz anderes (heraus)!“ hindeuten. Wenn nämlich, wie du ja erwähnst, auch an vielen anderen Standorten wohl ähnlich verfahren wurde, die Werbeträger eben nicht dort aufgestellt worden sind, wie zuvor genehmigt (und das ist dann ja bindend!) und die verantwortliche Verwaltung dies gewußt hat, aber die Augen wohl zugehalten bzw. weggeschaut hat, dann müffelt das nach Korruption. Und Hand aufs Herz, wen würde das schon wundern…
Aber ohne zwangsweise Ermittlungen von seiten einer nicht „teilhabenden“ Behörde, besteht dort wohl eher nicht die Gefahr, daß da etwas heraus kommt.
6 j // Sep 16, 2015 at 21:25
Schon mal daran gedacht, dass auch andere Kriterien nicht der Baugenehmigung entsprechen könnten? Höhe, Umfang, etwaige Beleuchtung usw.
Dranbleiben. Die Stadt gehört viel zu oft denen, die sich einfach mehr nehmen, als Ihnen eigentlich zusteht.
7 Peter Zapp // Sep 17, 2015 at 14:54
Anstatt den tatkräftigen Abbau von Bürokratie in Köln zu begrüßen schiesst dieser Farradaktivist mal wieder quer, nötigt die gerade erst entlasteten Bürokraten zu überflüssigem Schriftverkehr.
Die schnelle Reaktion der Reklamefirma ist nachvollziehbar. Schliesslich drohen bei einem Unfall an dieser Stelle Strafprozess und Schadenersatz. Dabei tat der Aufsteller doch nur das vermeintlich beste, um die Säule bestimmungsgemäß im Blickfeld der Verkehrsteilnehmer zu platzieren.
8 STRÖERende Werbesäulen in Köln – ADFC Blog // Feb 24, 2016 at 01:30
[…] dass es für eine Säule nicht mal eine Baugenehmigung an der neuen Stelle gab. Hier wurde die Säule innerhalb von Stunden abgebaut und an den Standort einer alten Litfaßsäule zurückversetzt. Mit Einwirkung der WDR Lokalzeit aus […]
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