Mit dem Fahrrad in und um Köln

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Geisterradlerin bei Zusammenstoß mit Gehwegradler schwerverletzt

August 7th, 2012 · 16 Kommentare

Am 1. August ist eine Kölnerin (84) mit einem entgegenkommenden Radfahrer (43) auf dem Gehweg der Titanstraße in Leverkusen-Wiesdorf zusammengestoßen.

Gegen 12 Uhr fuhr die 84-jährige auf dem Gehweg  auf der linken Seite in Richtung Friedrich-Ebert-Straße. In einer scharfen und nur schwer einsehbaren Linkskurve kam ihr der 43-Jährige entgegen. Dadurch wurde ein Zusammenstoß der beiden Zweiradfahrer unvermeidbar. Die ältere Dame zog sich schwere Kopfverletzungen zu und wird derzeit stationär im Krankenhaus behandelt. Ihr Unfallgegner blieb leicht verletzt.

Soweit der Sachverhalt dieses Unfalls. Soweit so schlimm, mag man denken. Typischer Fall von Gehweg- und Geisterradlerei, was –laut Bericht der Kölner Polizei (die ist auch für Leverkusen zuständig)- Unfallursache Nummer 1 bei schweren Unfällen unter Beteiligung von Radfahrern ist. Herr Simon, der Leiter der Verkehrsdirektion (dessen Büro in Leverkusen gar nicht weit von der Unfallstelle entfernt ist), hat ja sogar angekündigt, in die Seniorenverbände zu gehen, um ein Bewußtsein für (bzw. gegen!) das Geisterradeln zu schaffen. Man ist als Fahrradaktivist also sogar geneigt, den Unfall kopfschüttelnd mit einem traurig gemurmelten „selbst Schuld“ zu registrieren und abzuhaken. Wenn, ja wenn in der obigen Schilderung nicht noch ein nicht ganz unwesentlicher Sachverhalt fehlen würde! Hier der Text der original Pressemeldung der Polizei, die Hervorhebungen sind von mir:

Köln (ots) – Gestern Mittag (1. August) ist eine Kölnerin (84) mit einem entgegenkommenden Radfahrer (43) auf dem Radweg der Titanstraße in Leverkusen-Wiesdorf zusammengestoßen.

Gegen 12 Uhr fuhr die 84-Jährige auf dem für beide Fahrtrichtungen freigegebenen Radweg in Richtung Friedrich-Ebert-Straße. In einer scharfen und nur schwer einsehbaren Linkskurve kam ihr der 43-Jährige entgegen. Dabei fuhr der Leverkusener offensichtlich nicht möglichst weit rechts. Dadurch wurde ein Zusammenstoß der beiden Zweiradfahrer unvermeidbar. Die ältere Dame zog sich schwere Kopfverletzungen zu und wird derzeit stationär im Krankenhaus behandelt. Ihr Unfallgegner blieb leicht verletzt.

Die Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung dauern an. (kk)

Rückfragen bitte an:

Polizei Köln
Pressestelle
Telefon: 0221 – 229 5555
http://www.polizei.nrw.de

Der Gehweg ist also gar keiner, sondern ein „Radweg“, nämlich -in beide Fahrtrichtungen- per VZ240 als benutzungspflichtig angeordnet. Man ist bei der Schuldfrage aber nun immer noch geneigt zu sagen, daß der 43-jährige ja offensichtlich nicht weit genug rechts fuhr, so drückt es die Polizei ja aus und so wird es von der Presse auch in die Öffentlichkeit getragen.

Ich kenne die Titanstraße und fahre dort auch öfters mal lang, allerdings bisher immer auf der Fahrbahn, da ich ehrlich gesagt niemals darauf gekommen wäre, daß irgendjemand dort eine außerordentliche Gefahrenlage sehen würde, die einen (auch noch in beide Richtungen!) benutzungspflichtigen Radweg nach §45.9 StVO rechtfertigen würde. Ich habe mir mal die Mühe gemacht und bin die Unfallstelle mit der Videokamera abgefahren:

Natürlich kann auch ich nur mutmaßen, wie der Unfall abgelaufen ist, allerdings sieht man auf dem Boden ja deutlich die Markierung der Unfallkomission. Wir sind in beide Richtungen ca. 17 km/h gefahren (das ist eine Geschwindigkeit, die auch ungeübte Radfahrer, Senioren, etc. problemlos und konstant erreichen können) und haben uns jeweils so weit wie möglich rechts gehalten – was im Falle des 43-jährigen ungefähr auf Höhe der Markierung des Zusammenstoßes liegt. Keine Frage, bei höherer Geschwindigkeit würde man noch weniger weit rechts fahren.

Man sieht eigentlich deutlich, daß beide Unfallgegner keine Möglichkeit hatten, einem Zusammenstoß zu entgehen, was daran liegt, daß diese Kurve viel zu eng und vor allem völlig ungeeignet für Gegenverkehr ist, denn -das steht ja auch in der Pressemitteilung der Polizei- sie ist wirklich nur schwer einsehbar, der 43jährige hatte mit Stromkasten und Mast gar noch Hindernisse im Weg, die 84jährige fuhr leicht bergab und somit potentiell etwas schneller ! Die einzige Möglichkeit, einen Zusammenstoß zu vermeiden, wäre folglich gewesen, vom Rad abzusteigen und zu schieben. Damit wäre man aber gar kein Radfahrer mehr und unabhängig davon wäre es wohl müßig, vor jeder Kurve auf Verdacht anzuhalten, weil jemand entgegenkommen könnte. Außerdem: da der Weg als benutzungspflichtiger „Radweg“ ausgeschildert ist, muß man der Straßenverkehrsbehörde eigentlich so weit trauen können, als daß das Radfahren dort sicher sein solle – dem Gesetz nach sogar sicherer als auf der Fahrbahn.

Durch die per VZ240 angeordnete Benutzungspflicht waren allerdings beide Unfallgegner gezwungen, diesen Weg zu nehmen. Somit ist der unvermeidbare Zusammenstoß also tatsächlich behördlich angeordnet gewesen!

Es geht noch weiter, denn betrachtet man sich die Verkehrssituation in der Titanstraße (eine normal befahrene Verbindungsstraße), fragt man sich ernsthaft, wo dort auf der Fahrbahn solch eine Gefahrenlage für Radfahrer bestehen soll, daß diese -auch noch in Gegenrichtung freigegeben- auf den Gehweg gezwungen werden. Selbst auf der anliegenden Friedrich-Ebert-Straße, eine vielbefahrene Haupt- und Bundestraße, besteht keine Radwegebenutzungspflicht (lediglich ein Gehweg mit „Radfahrer frei“). Ich habe bei der Stadt Leverkusen heute Akteneinsicht beantragt, welche Gefahrenlage in der Titanstraße vorliegt, die das Fahrbahnverbot rechtfertigt und ich bin sehr gespannt!

Unter diesen Umständen finde ich besonders den letzten Satz der Pressemitteilung der Polizei äußerst brisant: „Die Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung dauern an„. Wenn ich das richtig interpretiere, ist es also so, daß die Straßenverkehrsbehörde in offensichtlich grob fahrlässiger Weise ein Fahrbahnverbot anordnet, was den Verkehrsteilnehmer in eine unvermeidbare Situation bringt, in der er sich für fahrlässige Körperverletzung verantworten muß? Zur Verdeutlichung: fahrlässige Körperverletzung ist eine Straftat, die mit Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren bestraft werden kann! Ich kann dem 43-jährigen nur raten, sich einen guten Anwalt zu nehmen und in aller Konsequenz die Stadt Leverkusen und ihre StVB in die Veranwortung zu nehmen!

Unabhängig von alledem und weil es mir zuwider ist, auf dem Rücken von verunglückten Personen Verkehrspolitik zu betreiben (obwohl das in diesem Fall unausweichlich ist), wünsche ich den verunfallten Menschen und insbesondere der schwer verletzten Dame alles Gute und ganz besonders: Gute Besserung!

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Tags: Allgemein · Polizei · Radwege

16 Antworten bis jetzt ↓

  • 1 Brigitte // Aug 7, 2012 at 19:04

    Ganz unglaublich! Hier sollte die Stadt verklagt werden, es ist geradezu unerhört dort einen gemeinsam zu nutzenden Radweg verpflichtend zu machen. Erstaunlich dass nicht schon mehr dort passiert ist, auch für Fußgänger …

  • 2 siggi // Aug 7, 2012 at 20:05

    Am Radweg ab der Friedrich-Ebert Str. stehen an jeder Kreuzung oder Einmündung Schilder die auf Radverkehr aus der Gegenrichtung hinweisen.
    Nur an der Einmündung, direkt an der Unfallstelle fehlt so ein Schild. Oder besser gesagt, es steht dort überhaupt kein Radwegschild mehr.
    Lediglich der linksseitige Radverkehr hat dort ein Radwegschild.
    Ich war eben dort und habe mir das angesehen.
    Was dort noch fehlt ist ein Hochsitz wo Mitarbeiter der Strassenverkehrsbehörde gut beobachten können ob ihre Radwegfalle auch funktioniert.
    Ich kann generell nur raten immer rechts zu fahren.
    Auch wenn man sieht, dass entgegenkommende Radler auf Kollisionskurs sind.
    Bleibt rechts, dann knallt es auch rechts.
    Versucht nicht auszuweichen, denn dann knallt es eventuell links und ihr seit die Dummen weil ihr auf der falschen Seite ward.
    Diesen Fehler hat der Radfahrer in diesem Fall vermutlich auch gemacht.
    Die Farbspuren am Unfallort lassen es so vermuten.

  • 3 Jeremy // Aug 7, 2012 at 20:35

    Du solltest auf jeden Fall Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt erstatten. Hier liegt ein eklatanter Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik und dem Verstoß gegen Verkehrsregelungspflichten vor. Selbst wenn die Anzeige vermutlich eingestellt wird, kommt dennoch ein Vermerk in die Akte, so dass ein Anwalt der Versicherungsunternehmen der Unfallbeteiligten mit einer Rechtsabteilung im Rücken auf die richtige Fährte geführt werden kann.

  • 4 Mueck // Aug 7, 2012 at 21:48

    Könnte der 43-j. in Anlehnung an das Urteil des OLG Jena o.ä. die Stadt in Haftung nehmen zu versuchen bzw. zumind. die eigene Haftung abweisen? http://openjur.de/u/56706.html

  • 5 Rasmus // Aug 7, 2012 at 22:26

    Scheiße.

    Ich habe mich am Wochenende noch gefragt, ob ein solcher Fall evtl ein sog. „unechtes Unterlassungsdelikt“ ist und mit einem befreundeten Richter (auch leidenschaftlicher Radfahrer) drüber gequatscht.

    Soetwas kann durchgehen, wenn die Straßenverkehrsbehörde (genauer gesagt deren Personal) bei der Umsetzung von Rechtsnormen gepennt hat – und das ist hier relativ klar.

    Problematisch ist hierbei tatsächlich, in wie fern die beiden Unfallbeteiligten selbst ein Risiko gesetzt haben. Aber das muß die Staatsanwaltschaft (nicht die Polizei!) klären. Ich würde tatsächlich Anzeige erstatten.

  • 6 Paul // Aug 8, 2012 at 15:23

    “Die Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung dauern an“

    Ich hoffe doch sehr, dass damit die Stadt gemeint ist und nicht die Radfahrer?

  • 7 Christoph // Aug 9, 2012 at 11:31

    Danke für das informative Video, das Licht in diese obskure Pressemitteilung gebracht hat. Bin mal gespannt wie ergiebig die Akteneinsicht in diesem Fall werden wird.

  • 8 Tobi // Aug 17, 2012 at 23:30

    Meiner Meinung nach ist hier die Redwegbenutzung angeordnet worden, um beim morgendlichen An- und nachmittäglichen Abreiseverkehr der vielen Pendler, die von / in Richtung Autobahn streben (A1 oder A59), nicht noch störende Radfahrer auf der (durch links und rechts parkende Autos ohnehin schon verschmälerten) Fahrbahn zu haben, die nur noch mehr Rückstau verursachen würden. Wahrscheinlich wird in den Akten als Grund der angeordneten Radwegbenutzungspflicht die erhöhte Gefahr für Radfahrer durch eine erhöhten Dichte der motorisierten Verkehrsteilnehmer vermerkt sein.

  • 9 Ralf // Aug 18, 2012 at 06:11

    Das ist auch ein Thema, das mich stört.

    Nur weil vielleicht 2-4 Stunden an 5 Tagen die Verkehrsdichte so hoch ist, dass die Unfallgefahr auf der Strasse höher ist als auf dem Radweg, muss ich rund um die Uhr an 7 Tagen den Radweg benutzen.

  • 10 Holger // Aug 19, 2012 at 15:29

    @Ralph: Und selbst der Zusammenhang, Verkehrsdichte und Unfallgefahr, konnte nicht nachgewiesen werden (BASt V184). Mit zunehmender Verkehrsdichte sinkt i.A. die gefahrene Geschwindigkeit.

  • 11 Jeremy // Sep 10, 2012 at 12:10

    Habe noch ein Urteil des BGH zur Verkehrsregelungspflicht auf in beide Fahrtrichtungen freigegebenen Radwegen entdeckt:

    BGH, 27.01.1958, III ZR 4/57

  • 12 Markus // Sep 17, 2012 at 13:12

    Sind wir doch mal ehrlich: im größten Teil von Leverkusen sind die Radwege mehr als Gefährlich!
    Alleine in Schlebusch diese unmögliche Führung der Radwege hinter parkenden Autos, ohne Abstand zu Geschäften und hinter Bushaltestellen. Da ist der Engpass in Wiesdorf doch „nur“ eine Kleinigkeit.

  • 13 Jochen // Nov 18, 2012 at 17:39

    Moin
    Lese über den Unfall erst jetzt und staune auch darüber, dass gegen den 43-jährigen ermittelt wird, weil er angeblich nicht weit genug rechts gefahren sei.

    Es handelt sich um einen kombinierten Fuß-/Radweg. Ich habe noch nie gehört, dass auf solchen Wegen ein Rechtsfahrgebot in dem Sinne besteht, wie auf der Straßenfahrbahn. Vielmehr haben sich die dort verkehrenden Fußgänger und Radfahrer den zur Verfügung stehenden Weg zu teilen.

    Ich hoffe Marco bleibt da am Ball und berichtet, was aus der Sache noch so wird. Denn wenn da mit gesundem Menschenverstand ermittelt wird, müsste nach meinem Dafürhalten die Stadt in „die Pflicht“ genommen werden und nicht eines der Unfallopfer, dass damit zum Täter und Verursacher stilisiert würde. Versursacher der Umstände, die den Unfall erst ermöglicht haben, ist die Straßenverkehrsbehörde.

    Und noch ein Wort zu Leverkusen. Ich bin bislang nur einmal dort mit dem Rad durchgefahren. Ich versuche seitdem einer Wiederholung bestmöglichst aus dem Weg zu gehen bzw. zu fahren. Es war zwar nicht mein persönlich bester Tag und ich war recht K.O., aber eine solche Ansammlung von *Verzeichung* Scheizze in Sachen Radwege und Radinfrastruktur, muss ich mir nicht zweimal antun.
    Als ich aus dem Ort heraus war, in Richtung der verbotenen Stadt, kam ich an einem Schaukasten (oder sowas) vorbei, wo irgendwas von Fahrradfreundlichkeit in Leverkusen geschwurbelt stand. Ich bremste, wendete, fuhr zurück und stand mit offenem Mund davor und hab nur noch gelacht, gelacht über diese Chuzpe der Stadtverwaltung.

  • 14 Jochen // Nov 18, 2012 at 17:40

    umpf Nicht *Verzeichung* sondern *Verzeihung* soll das da im Beitrag vorher lauten.

  • 15 Jens2 // Nov 19, 2012 at 00:05

    @Jochen2: Glückwunsch, Sie gehören offenbar zur großen Mehrheit der Kölner Radfahrer. Denn dass das Rechtsfahrgebot selbstverständlich auch auf gemeinsamen Fuß- und Radwegen gilt, ist in dieser Bevölkerungsgruppe offenbar unbekannt. Ich kann es jedenfalls jeden Tag aufs Neue auf dem mit Zeichen 240 beschilderten Weg auf der Deutzer Brücke erleben – ein Eldorado für die absoluten Nichtsmerker unter den Radfahrern.

    Nicht ganz richtig liegen Sie übrigens, was das Teilen des Weges bei Zeichen 240 angeht. Für Radfahrer ist hierbei nämlich explizit Rücksicht auf Fußgänger angesagt und es ist zudem (je nachdem, welche StVO man gerade für gültig hält) „erforderlichenfalls“ die „Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr“ anzupassen. (Bei diesem Thema spielt natürlich auch die Art und Weise, wie die Stadt Köln Zeichen 240 aufstellt und wie es laut StVO und VwV-StVO sein sollte, mit hinein. Bei korrekter Anwendung der Regeln dürfte es solche Wege nur extrem selten geben, aber in Köln wird Zeichen 240 ja einfach überall hingestellt, wo nicht genug Platz ist, um die Mindestbreiten für Zeichen 241 zu erfüllen, und schwupp, Problem „gelöst“.)

    Was die Schaukästen in Leverkusen angeht, so bin ich ja schon immer der Ansicht gewesen, dass das ein Schreibfehler sein muss. Mit Sicherheit wollte man eigentlich „Fahrradfeindliches Leverkusen“ schreiben, was der Realität deutlich näher kommt.

  • 16 M_Net // Apr 29, 2013 at 09:01

    Gbit es denn etwas Neues, wie ist der Fall (Akteneinsicht, Ermittlungen) weitergegangen?

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