Mit dem Fahrrad in und um Köln

Ein Watchblog für Kölner Radverkehrspolitik

Mit dem Fahrrad in und um Köln header image 2

Objektive Berichterstattung …

Juni 29th, 2011 · 12 Kommentare

… sieht anders aus!

Am 28.6.2011 um 9:55 Uhr ereignete sich an der Inneren Kanalstraße, Ecke Escher Straße ein Verkehrsunfall zwischen einem Radfahrer und einem LKW. Der Radfahrer wurde „schwer verletzt“. Auf der Website von Velo 2010, also unter Federführung der Kölner Polizei, liest sich der  Unfallhergang so:

Verkehrsunfall mit schwer verletztem Radfahrer

Sachverhalt:

Ein 46jähriger Lastwagenfahrer befuhr die Innere Kanalstr. in Richtung Subbelrather Str. An der Escher Str. beabsichtigte er nach rechts in diese einzubiegen. Während des Abbiegevorganges bemerkte er einen 40jährigen Radfahrer, welcher vermutlich auf dem parallel verlaufenden Radweg in gleicher Richtung fuhr oder aber aus dem angrenzenden Park kam. Der Lastwagenfahrer bremste ab. Dennoch stieß der Radfahrer seitlich rechts gegen den Anhänger und stürzte. Dabei verletzte er sich so schwer, dass er in ein Krankenhaus gebracht werden musste.

Denkbar ist, dass sich der Radfahrer zunächst im „Toten Winkel“ befand. Woher er tatsächlich kam, wird sich nach Auswertung der Spurenlage und Zeugenaussagen ergeben.

Fahrzeugführer sind verpflichtet, vor dem Abbiegen Radfahrer oder Fußgänger passieren zu lassen.

Im Kölner Stadtanzeiger (gedruckte Ausgabe vom 29.6.2011) liest sich das dann so:

LANGER STAU NACH UNFALL

Lkw-Fahrer übersah Radler beim Abbiegen

Beim Zusammenstoß mit einem Lastwagen hat ein Radfahrer am Dienstagmorgen auf der Inneren Kanalstraße nur leichte Verletzungen erlitten. Der Lkw-Fahrer hatte den Mann gegen zehn Uhr beim Rechtsabbiegen in die Escher Straße übersehen. Laut Polizei fuhr der Radler (40) gegen den Anhänger und stürzte. Während der Unfallaufnahme bis 12.15 Uhr war nur ein Fahrstreifen frei. Der Verkehr staute sich über die Zoobrücke bis auf die Autobahn. (ts)

Bemerkenswert, dass der Fokus in der Berichterstattung per Überschrift zunächst mal auf „langer Stau“ statt auf „schwer verletztem Radfahrer“ liegt. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Radfahrer den dortigen benutzungspflichtigen „Radweg“ (übrigens ein Paradebeispiel an angeordnetem „schlechten“ „Radweg“) benutzt hat, wird vorsorglich gar nicht erwähnt.

Den Vogel schießt dann dieses Mal der Kölner EXPRESS ab:

Unfall am Morgen
Radler auf der Inneren Kanalstraße mit Lkw zusammengekracht

Köln –  Schreckliche Szenen auf der Inneren Kanalstraße in Köln: Ein Lkw, der auf die Escher Straße abbog, erfasste einen Fahrradfahrer (40), fuhr ihn an.

Der Radler wurde bei dem Unglück am Dienstagmorgen gegen 10 Uhr schwer an der Wirbelsäule verletzt. Lebensgefahr besteht glücklicherweise nicht.

Die Polizei ermittelt nun die Unfallursache. Es ist nicht auszuschließen, dass der Radler im toten Winkel gefahren war.

Den letzten Satz möchte ich noch einmal fett wiederholen:

Es ist nicht auszuschließen, dass der Radler im toten Winkel gefahren war.

Was für ein Zynismus! Wie kann der Idiot das tun? Im toten Winkel fahren! Ist der verrückt? Nein, liebe Journaille, der MUSS da im toten Winkel fahren, rechts von einer Rechtsabbiegerspur, obwohl er wohl geradeaus wollte!

Es kann übrigens noch zynischer werden, denn was online nicht (mehr?) steht, findet sich dann in der gedruckten Ausgabe des Kölner Express (Ausgabe vom 29.6.2011, Seite 28 unten unter der Überschrift „Schon 630 Radler verunglückt“):

Laut Untersuchungen der Polizei trägt nur jeder zehnte Radfahrer in Köln einen Fahrradhelm. Der am Morgen verunglückte Mann trug auch keinen.

Aha! Da haben wir’s! Im toten Winkel gefahren UND keinen Helm aufgehabt! Na dann ist er ja wohl selbst Schuld, oder?

[Nachtrag: den Artikel, der den Helm erwähnt, gibt es auch online]

Share Button

Tags: Presse · Radwege

12 Antworten bis jetzt ↓

  • 1 der_ub // Jun 29, 2011 at 12:29

    Sich über den Express aufzuregen lohnt nicht – allein die wirklich schlechte Sprache sollte die Lektüre verhindern oder anders wer den Schund liest ist doof.

  • 2 Itti // Jun 29, 2011 at 12:31

    Genau die gleich Gedanken hatte ich auch. Das schönste ist wie immer der letzte Satz im Express: „Laut Untersuchungen der Polizei trägt nur jeder zehnte Radfahrer in Köln einen Fahrradhelm. Der am Morgen verunglückte Mann trug auch keinen.“ Also ein Aufruf an alle: Helm auf, dann passiert euch nichts! Wer´s glaubt…

  • 3 Marco // Jun 29, 2011 at 12:40

    @der_ub
    „den Schund“ liest in Köln nun mal jeder, inklusive Handwerker, LKW-Fahrern, Müllabfuhr und allen anderen, die schnellstens von A nach B müssen, also auch „die Doofen“.

    Immerhin sorgt eine Headline wie „Radler dürfen jetzt auf ALLEN Straßen fahren“ letzte Woche ja ganz offensichtlich auch für ein Bewußtsein bei denen ;-).

  • 4 arvo // Jun 29, 2011 at 13:47

    … außerdem wird der Express bei der Polizei, dem Amt für Straßen und Verkehrstechnik, bei allen anderen städtischen Behörden und von Politikern gelesen und wahrgenommen!

  • 5 Elmar // Jun 29, 2011 at 14:38

    Es zeigt die wenig differenzierte Berichterstattung dieses „netten“ Blattes und der gleichzeitig damit verbundenen Meinungsmache. Im Gedächtnis bleiben nur die Überschrift und die sich ständig wiederholende Aussage: kein Helm!

    Andersrum implementiert eine so dumme Aussage: wenn man einen Helm trägt, kann einem auch ein 40-Tonner ohne Schaden für Leib und Leben über die Brust fahren..

  • 6 Roland Brühe // Jun 29, 2011 at 21:34

    Wahrscheinlich muss der Express jetzt noch schnell seine Berichterstattung korrigieren – zu viel Fahrradfreundlichkeit bzw. -sachlichkeit darf vom normalen Leser natürlich nicht vermutet werden. Also nochmal schnell auf schuldhaftes Verhalten von Radfahrern hinweisen.
    Bei der zwischen den Zeilen zu lesenden „selbst schuld weil kein Helm“-Aussage fällt mir ein „schöner“ Cartoon ein, den ich vor längerer Zeit mal beim Blog „velowahnsinn“ sah: http://bit.ly/lqc8Bv

  • 7 Klapprad // Jun 30, 2011 at 08:23

    Passend zum Thema objektive Berichterstattung ist auch folgendes:
    http://www.derwesten.de/staedte/gelsenkirchen/Junge-fuhr-ohne-Helm-id4812491.html

  • 8 Dirk // Jun 30, 2011 at 08:39

    Ich frage mich woher kommt diese Einstellung? Leben wir auf den Straßen im Mittelalter? Denken viele sie besitzen das Recht des Stärkeren?

    Ich glaube tatsächlich, das die Menschheit in dem Bezug noch sehr unterentwickelt ist.

    P.S.: Warum muss ich eine E-Mail-Adresse angeben, um einen Kommentar zu schreiben?!

  • 9 Andreas // Jun 30, 2011 at 21:43

    Über die Berichterstattung rege ich mich auch jedesmal auf. Der Radfahrer ist immer der aktive Part, selbst wenn er überfahren wird, hat er sich garantiert noch in den Weg gestellt 🙁 Traurig.

  • 10 der_radler // Jul 1, 2011 at 08:21

    Untragbar finde ich auch die totale Verdrehung der Tatsachen:

    Kölner Stadtanzeiger
    „Laut Polizei fuhr der Radler (40) gegen den Anhänger und stürzte. “

    Da fährt wohl eher der LKW mit seinem Anhänger gegen den Radler, oder?

  • 11 Mike // Jul 1, 2011 at 16:38

    Gut aufbereitet – danke Dir! Fehlt nur, daß einer schreibt der Radfahrer sei zu schnell gefahren. „Was fahren Sie auch so schnell hier lang?“ Radfahrer haben sich schließlich langsam und demütig fortzubewegen.

  • 12 Martin // Jul 1, 2011 at 16:56

    Unabhängig davon, dass sowohl Radfahrer als auch LKW-Fahrer Grün gehabt haben müssen, gibt es an dieser Stelle auch die Möglichkeit, die Radroute durch den Park zu wählen und hinter(!!!) der Radfahrerampel auf den straßenbegleitenden Radweg an der Inneren Kanalstraße einzuscheren, womit man recht legal (die Fußgängerampel ist sehr weit in die Escher Straße versetzt und kann ggf. nicht sichtbar sein) bei Rot über die Escher Straße fahren kann. Als Bonus kommt dazu, dass exakt dieser Routenverlauf in der Broschüre „Mit dem Rad rund um Nippes“ genannt wird, die das Team des Radbeauftragten ja immer am Infostand auf Veranstaltungen austeilt.
    Was bedeutet das für den Unfall? Vielleicht wäre Fahren bei Rot dort sicherer, weil der Querverkehr Radfahrer besser wahrnehmen würde als ein abbiegender LKW?
    Hoffentlich kommt der Radfahrer schnell wieder auf die Beine und erkennt vielleicht auch noch, welche Rolle der vermeintlich sichere Radweg an der Stelle gespielt hat…

Hinterlasse ein Kommentar